Witwe Bischoffwerder

Frau von Bischoffwerder, geborene von Tarrach, verwitwete Gräfin Pinto

 

Beim Tode Bischoffwerders war sein Sohn und Erbe erst acht Jahre alt; es trat also eine Vormundschaft ein. Diese Vormundschaft führte die Mutter und blieb, weit über die Minoritätensprache ihres Sohnes hinaus (den der Dienst in Berlin und Potsdam fesselte), nicht de jure aber doch de facto, die Regentin von Marquardt bis zu ihrem Tode. Auf diese dreißig Jahre richten wir jetzt unsere Aufmerksamkeit. Zunächst auf die Dame selbst. Frau Generalin von Bischoffwerder war eine geborene von Tarrach. Ihr Vater war der Geheime Finanzrat von Tarrach zu Tilsit, dessen Kinder es alle zu hohen Stellungen in Staat und Gesellschaft brachten. Sein Sohn war in den zwanziger Jahren preußischer Gesandter in Stockholm, eine jüngere Tochter vermählte sich mit dem Marquis von Lucchesini, die älteste, Wilhelmine Katharine, wurde die Frau des Günstling-Generals und Ministers von Bischoffwerder. Aber sie wurde es erst in zweiter Ehe. Ihre erste Ehe schloß sie mit dem Grafen Ignaz Pinto, den Friedrich der Große um 1770 aus sardinischen Diensten nach Preußen berufen, zum Flügeladjutanten gemacht und zum Mitbegründer des unter ihm gebildeten Generalstabes, zum Generalfeldbaumeister, zum Maréchal de logis de l'armée und zum Generaladjutanten ernannt hatte. Gleichzeitig hatte er ihm verschiedene Güter in Schlesien, darunter Mettkau im Neumarkter Kreise, sowie das Inkolat als schlesischen Grafen verliehen. Man sieht, es war dem Fräulein von Tarrach das seltene Glück beschieden, den Günstlingen zweier Könige die Hand reichen zu können.Graf Pinto starb 1788. Seine Witwe, die Gräfin, war damals einunddreißig Jahre alt. Sie trat sehr bald zu Bischofswerder, der etwa um eben diese Zeit Witwer geworden war, in nähere Beziehungen, und klug und schön wie sie war, (sie »schoß« ein wenig mit den Augen, und die medisierenden Hofleute sagten: elle est belle, mais ses yeux »ne marchent pas bien«), nahm das Verhältnis einen wirklichen Zärtlichkeitston an, der, wenigstens damals, zwischen Leuten von Welt zu den Ausnahmen zählte. Es scheint, dieser Ton überdauerte selbst die Flitterwochen, die sehr wahrscheinlich in den Sommer 1789 oder 1790 fielen. 1792 während des Champagne-Feldzuges wurde von französischen Truppen eine eben eingetroffene preußische Feldpost erbeutet und acht Tage später las irgendein Montagnard in der Nationalversammlung die Zeilen vor, die Frau von Bischofswerder an ihren Gemahl ins Feldlager gerichtet hatte. Der entschieden lyrische Grundton dieses Briefes erweckte die Heiterkeit der Versammlung. Das war in den ersten Jahren. Aber die Intimität blieb. Ein Sohn und drei Töchter wurden aus dieser zweiten Ehe geboren, so daß damals im Marquardter Herrenhause alle Arten von Stiefgeschwistern anzutreffen waren: Kinder aus der ersten Ehe des Herrn von Bischoffwerder, Kinder aus der ersten Ehe der Frau von Bischoffwerder (mit dem Grafen Pinto) und Kinder aus der zweiten Ehe beider. Die gräflich Pintoschen Kinder scheinen übrigens nur ausnahmsweise in Marquardt gewesen zu sein, während die Bischoffwerderschen Kinder aus seiner ersten Ehe mit dem Fräulein von Wilke bis zuletzt die freundlichsten Beziehungen zum Marquardter Herrenhause unterhielten.33) 1803 starb der General. Wir haben seine Beisetzung geschildert. Seine Ehe, wie schon hervorgehoben, war eine glückliche gewesen und die Wahrnehmung, daß auch ein allmächtiger Minister irgendwo die Grenzen seiner Allmacht finden müsse, hatte weder seinen Frieden noch seine Heiterkeit getrübt. Die »Gräfin«, eine Benennung, die ihr vielfach blieb, hatte ihr Leben nach dem Satze eingerichtet, daß »wer der herrschefähigste sei, auch die Herrschaft zu führen habe«, und dies scheint uns der Ort, ehe wir in der Vorführung biographischen Materials fortfahren, eine Charakterschilderung der Frau einzuschalten. Ihren Mann, trotz all ihrer Herrschsucht, liebte sie wirklich und noch in den letzten Lebensjahren pflegte sie halb scherzhaft zu sagen: »Wenn ich im Himmel meinem ersten Mann begegnen werde, so weiß ich nicht, wie er mich begrüßen wird, aber vor meinem Bischofswerder ist mir nicht bange.« Die »Gräfin«, auch wenn uns nichts Zuverlässigeres vorläge, als das Urteil ihrer Neider und Tadler, war jedenfalls eine »distinguierte« Frau. Es mußte seinen Grund haben, daß zwei Günstlinge sich um ihre Gunst bewarben. Ein Enkel von ihr mochte mit Fug und Recht schreiben: »Die in meinen Händen befindlichen Papiere, leider nur Bruchstücke, geben ganz neue Aufschlüsse. Reichen sie auch zu einer klaren geschichtlichen Darstellung nicht aus, so haben sie mir doch einen genügenden Anhalt geboten, die für Preußens Größe begeisterte, die kühnsten Wünsche und Pläne hegende Frau verstehen zu lernen und die Bitterkeit zu begreifen, als sie mehr und mehr einsah, daß nicht die Macht der Verhältnisse, sondern die Schwäche der Menschen alles vereitelte und häufig in das Gegenteil verkehrte.« Wir haben nicht selbst Einblick in die Papiere, die hier erwähnt werden, nehmen dürfen, aber nach allem, was uns sonst vorliegt, sind wir geneigt, diese Schilderung für richtig zu halten. Sie war keine liebenswürdige, aber eine bedeutende Frau, ein ausgesprochener Charakter. In den zahlreichen mehr oder weniger libellartigen Schriften jener Zeit, wie auch im Gedächtnis der Marquardter Dorfbewohner, von denen sie noch viele gekannt haben, lebt sie allerdings nur in zwei Eigenschaften fort, als habsüchtig-geizig und bigott-katholisch. In den mehrfach schon zitierten »Vertrauten Briefen« finden wir zunächst: »Herrn von Bischofswerders Ehehälfte läßt sich jedes gnädige Lächeln mit Gold aufwiegen« und an anderer Stelle heißt es: »Die in Südpreußen veranstalteten Güterverschleuderungen waren ihr Werk, indem sie ihrem Manne beständig sagte: Sie werden wie ein Bettler sterben, wenn Sie nicht noch die letzten Tage des Königs benutzen, um etwas für Ihre Familie zu tun.« Das Fundament dieser Habsucht war mutmaßlich mehr Ehrgeiz als irgend etwas andres. Sie wußte: »Besitz ist Macht« und die Jahre, so scheint es, steigerten diese Anschauung eher, als daß sie sie mäßigten. Ein Mann, der sie in ihren alten Tagen kannte, schreibt: »Sie war herb und hart, ertragbar nur im Verkehr mit kleinen Leuten und ausgiebig nur in Auflegung von Schminke.« Ihr Katholizismus war von der ausgesprochensten Art, aber die Art, wie sie ihn übte, die Entschiedenheit im Bekenntnis auf der einen Seite und andererseits wieder in Toleranz gegen alle diejenigen, die nun mal auf anderem Boden standen, gereichte ihr zu hoher Ehre. Ignaz Feßler, früher Mönch, der zum Protestantismus übergetreten war, kam 1796 nach Berlin und – an Bischofswerder empfohlen – auch nach Marquardt. »Bischofswerder wollte mir wohl«, so schreibt er, »aber alles scheiterte an der Frau. Sie sah in mir nichts als den Abtrünnigen von der römischen Kirche. Sie beherrschte ihren Gemahl vollständig, und um des lieben Hausfriedens willen durfte er mich nicht mehr sehen.« Diese Strenge zeigte sie aber nur dem Konvertiten. In Marquardt griff sie nie störend oder eigenmächtig in das protestantische Leben in der Gemeinde ein, hatte vielmehr eine Freude daran, die evangelische Kirche des Dorfes mit allem Kirchengerät und Kirchenschmuck, mit Altardecke und Abendmahlskelch zu beschenken. Wir kehren nach diesem Versuch einer Charakterschilderung in das Jahr 1803 zurück. Ihren Gemahl hatte sie vollständig beherrscht; aber wenn sie nach der Seite des Herrschens hin, bis zum Tode Bischofswerders, des Guten zu viel getan haben mochte, so begannen doch nun alsbald die Jahre, wo die »Gewohnheit des Herrschens« zu einem Segen wurde. Dieser Zeitpunkt trat namentlich ein, als die Franzosen ins Land kamen und auch die Havelgegenden überschwemmten. Der »Gräfin« Klugheit führte alles glücklich durch. Sie wußte, wo ein Riegel vorzuschieben war, aber sie ließ auch gewähren. Eine rätselvolle Geschichte ereignete sich in jenen Jahren Französische Chasseurs zechten im Saal; einer stieg in der Keller hinab, um eine Kanne »frisch vom Faß« zu zapfen. Nun trifft es sich, daß das Marquardter Herrenhaus einer doppelten Keller hat, den einen unter dem andern. Wahrscheinlich erlosch das Licht, oder der Trunk schläferte der Chasseur ein, kurzum er kam nicht wieder herauf; sein Hilferuf verhallte, der Trupp, in halbem Rausche, verließ Schloß und Dorf, und des Franzosen wurde erst wieder gedacht, als es im Hause zu rumoren begann. Nun forschte man nach. An einer dunkelsten Stelle des Kellers lag der Unglückliche, unkenntlich schon, neben ihm ein halbniedergebranntes Licht. »Die Gräfin« gab ihm ein ehrlich Begräbnis; da wurd' es still. Sie ahnte damals nicht, daß sie im Glauben des Volkes, im Geplauder der Spinnstuben, diesen Spuk einst ablösen würde.Die Franzosenzeit war vorüber, der Siegeswagen stand wieder auf dem Brandenburger Tor, die Kinder des Marquardter Herrenhauses blühten auf; die »Gräfin«, noch immer eine stattliche Frau, war nun sechzig. Die Jugend der Kinder gab dem Hause neuen Reiz; es waren seit lange wieder Tage glücklichen Familienlebens, und dies Glück wuchs mit der Verheiratung der Töchter. Die älteste, Luitgarde, vermählte sich mit einem Hauptmann von Witzleben (später General), der damals eine Kompanie vom Kaiser-Franz- Regiment führte. Die zweite, Blanka, geb. 1797, von der die »Gräfin« mit mütterlichem Stolz zu sagen pflegte:

Meine Blanka, blink und blank,

Ist die Schönst' im ganzen Land wurde die Gattin eines Herrn von Maltzahn; die jüngste, Bertha, geb. 1799, gab ihre Hand einem Herrn von Ostau, damals Rittmeister im Regiment Garde du Korps. Tage ungetrübten Glückes schienen angebrochen zu sein, aber nicht auf lange. Die beiden jüngeren Töchter starben bald nach ihrer Verheiratung, innerhalb Jahresfrist. Dem Tode der schönen Blanka ging ein poetisch-rührender Zug vorauf. Sie lag krank auf ihrem Lager. Da meldete der Diener, daß das »Kreuz« aus Potsdam angekommen sei. Die junge schöne Frau hatte wenige Tage zuvor ein Kreuz, das sie auf der Brust zu tragen pflegte, einer Reparatur halber nach Potsdam hineingeschickt und sie bat jetzt, ihr das Andenken, das ihr schon gefehlt hatte, zu zeigen. Da trug man ihr ein Grabkreuz ans Bett, das von der alten Gräfin, anstelle der Urne, für die große Gartengruft bestellt worden war. Sie wußte nun, daß sie sterben würde. Schon ein Jahr vorher war die jüngere Schwester, Frau von Ostau 34) gestorben. Beide wurden in der Marquardter Kirche beigesetzt.

Die Jahre des Entsagens, der Erkenntnis von den Eitelkeiten der Welt, waren nun auch für das stolze Herz der »Gräfin« angebrochen. Sie zog sich mehr und mehr aus dem Leben zurück; nur die Interessen der kleinen Leute um sie her und die großen Interessen der Kirche kümmerten sie noch; im allgemeinen verharrte sie in Herbheit und Habsucht. So kam ihr Ende. Sie starb, sechsundsiebzig Jahre alt, am 3. November 1833, im Hause der einzigen sie überlebenden Tochter, der (damaligen) Frau Oberst von Witzleben zu Potsdam und wurde am 6. November zu Marquardt, an der Seite ihres Gemahles beigesetzt. Die Rundgruft im Park schloß sich zum zweiten Male.

Die Rundgruft im Park schloß sich zum zweiten Male; aber die »Gräfin«, wie man sich im Dorfe erzählt, kann nicht Ruhe finden. Oft in Nächten ist sie auf. Sie kann von Haus und Besitz nicht lassen. Sie geht um. Aber es ist, als ob ihr Schatten allmählich schwände. Noch vor zwanzig Jahren wurde sie gesehen, in schwarzer Robe, das Gesicht abgewandt; jetzt hören die Bewohner des Hauses sie nur noch. Wie auf großen Socken schlurrt es durch alle unteren Räume; man hört die Türen gehn; dann alles still. Einige sagen, es bedeute Trauer im Hause; aber das Haus ist nicht Bischoffwerdersch mehr und so mögen die recht haben, die da sagen: sie »revidiert«, sie kann nicht los 33) Es waren dies zwei Töchter. Die eine, Karoline Erdmuthe Christiane, blieb unverheiratet und starb 1842. Über ihr Begräbnis in Marquardt berichten wir an anderer Stelle ausführlich. Die andere vermählte sich schon 1794 oder 1795 mit dem jungen Grafen Gurowski, dem Besitzer der Starostei Kolo. Die »Vertrauten Briefe« sagen von ihm: »Er war ein junger Krüppel mit einem kurzen Beine, sonst ein Ungetüm und unter den jungen Polen der verdorbenste. Ein Libertin, auf der untersten Stufe des Zynismus. Wenige Wochen nach der Heirat kam es zur Scheidung; er nahm dann teil an der Insurrektion und trat später das schöne Gut Murowanna Goßlin an seine geschiedene Frau ab.« Über die weiteren Schicksale dieser verlautet nichts. – Beide Fräulein von Bischoffwerder waren übrigens sehr liebenswürdig, von feiner Bildung und Sitte. Nichts war unwahrer und bösartiger als eine Schilderung derselben in den mehrgenannten »Anmerkungen« zu den Geheimen Briefen, worin es heißt: »Les Demoiselles Bischofswerder sont deux petites filles mal élevées. L'ainée a dans ses yeux le flambeau de l'hymen. On les dit intriguantes. A propos jaloux. Au reste il faut distinguer les ridicules des vices et dire que jusqu'ici la conduite de ces Demoiselles est intacte.« So die »Anmerkungen«. Die »Vertrauten-Briefe«, »Geheimen Briefe« usw. jener Epoche sind nie impertinenter, wie wenn sie sich zu einer halben Huldigung oder Anerkennung herablassen.34) Auch hieran knüpft sich ein eigentümlicher Zwischenfall, freilich aus viel späterer Zeit. Herr von Ostau hatte sich wieder vermählt, die Kinder dieser zweiten Ehe waren herangewachsen und hatten nur eine ganz allgemeine Kenntnis davon, daß ihr Vater einmal in erster Ehe mit einem Fräulein von Bischoffwerder vermählt gewesen sei. Ein Sohn aus dieser zweiten Ehe kam, während der Manövertage, nach Marquardt in Quartier. Er besichtigte Schloß, Park, Kirche und stieg auch in die Gruß. Ein Lichtstümpfchen gab die Beleuchtung; alles Staub und Asche; ein solcher Besuch hat immer seine Schauer. Der junge Offizier mühte sich, die Inschriften der einzelnen Särge zu entziffern; da las er plötzlich auf einem Bleitäfelchen: »Bertha v. Ostau, gestorben 1824.« Die Begegnung mit diesem Namen an dieser Stelle machte einen tiefen Eindruck auf ihn.

 

 

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